Ein extrem wirksames Medikament steht unmittelbar vor der Zulassung in Europa und angepasste Impfstoffe können auch neue Mutationen besser in den Griff bekommen / Europäische Erfahrung zeigt, dass Impfpflicht einen Regierungsvorschlag braucht

Die Corona-Zahlen explodieren in der gesamten Europäischen Union. Obwohl die Omikron-Variante offenbar deutlich weniger krank machend ist als die bisherigen Varianten, ist die Krise noch nicht überwunden. Notaufnahmen und Normalstationen in Krankenhäusern sind schwer belastet. Deshalb hält der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten) Dr. med. Peter Liese weiterhin ein vorsichtiges Vorgehen für nötig. „Wir sollten auf keinen Fall die Schulen schließen, aber die bestehenden Regeln, etwa für Kneipen und Großveranstaltungen, sind wohl noch einige Wochen nötig“, so Liese.

Angesichts der weiter angespannten Lage ist es ihm wichtig auf zwei sehr hoffnungsvolle Entwicklungen in der Europäischen Union aufmerksam zu machen. In dieser Woche, voraussichtlich am Donnerstag, wird sich die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) mit der Zulassung des bisher mit Abstand wirksamsten Medikament gegen Corona beschäftigen und wahrscheinlich ein positives Votum abgeben, so dass die Zulassung durch die Europäische Kommission auch noch in dieser Woche erfolgen kann. Das Präparat Paxlovid der Firma Pfizer hat in klinischen Prüfungen gezeigt, dass dann, wenn es richtig eingesetzt wird, fast 90 % der schweren Verläufe verhindert werden können. Paxlovid ist eine Tablette, weshalb es auch in der Hausarztpraxis eingesetzt werden kann. Es verhindert die Verbreitung des Virus und ist insbesondere für Menschen hilfreich, von denen bekannt ist, dass sie eine schwache Immunantwort haben, also zum Beispiel Nierenkranke oder Krebspatienten, und im Falle einer Infektion mit einem hohen Risiko an einem schweren Verlauf erkranken.


„Paxlovid ist ein echter Durchbruch und daher hoffe ich sehr auf eine positive Entscheidung der EMA. Keinesfalls sollte Paxlovid aber als Ersatz für eine Impfung betrachtet werden. Das sind keine Smarties. Die Nebenwirkungen sind erheblich, insbesondere in Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Jeder der denkt, wegen der Nebenwirkungen durch Impfungen sollte man sich nicht impfen lassen, weil es ja jetzt auch ein Medikament gibt, liegt daher falsch. Die Impfung ist nach wie vor die wichtigste Maßnahme um schwere Verläufe zu verhindern und der Pandemie den Schrecken zu nehmen. Leider gibt es weder von Seiten der einzelnen Mitgliedstaaten noch von Seiten der Europäischen Kommission eine Bestätigung darüber, dass das Medikament auch geliefert wird. In den Verhandlungen um die Impfstoffe hatte sich Pfizer im Sommer und Herbst 2020 als sehr hartnäckiger Verhandlungspartner gezeigt und teilweise das Haftungsrecht der EU in Frage gestellt. Da der Abschluss der Verhandlungen entscheidend ist, um Patienten in Deutschland und der EU das Medikament wirklich zur Verfügung zu stellen, habe ich mich mit einem dringenden Appell an Pfizer Chef Albert Bourla gewandt“, so Liese.

Der Arzt und Europaabgeordnete berichtete davon, dass die Impfstoffhersteller, zum Beispiel BioNTech, derzeit an einem angepassten Impfstoff arbeiteten. „Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich bei der Anpassung des Impfstoffes nicht allein auf die Omikron-Variante zu konzentrieren. Viele Mutationen, die bei Omikron auftauchen, sind auch schon bei Alpha oder Beta aufgetaucht und Wissenschaftler halten es für durchaus möglich, dass neue Mutationen entstehen, die die Eigenschaften von Delta und Omikron teilweise kombinieren. Daher ist es wichtig, nicht nur auf die jetzige Omikron-Welle zu schauen, sondern einen Impfstoff zu entwickeln, der auch bei einer nächsten Welle besser schützt als die jetzt vorhandenen Impfstoffe, die auf Basis des Ursprungsvirus entwickelt wurden.

Die Hersteller diskutieren diese Frage zurzeit sehr intensiv mit der Europäischen Arzneimittelagentur und anderen Zulassungsagenturen weltweit. Dies ist nur eins von vielen Beispielen dafür, dass eine wirksame Impfpflicht einen Vorschlag der Regierung benötigt.  Ich finde es unerträglich, dass sich die Mitglieder der Bundesregierung in dieser Frage immer nur als Privatleute äußern. Die Frage ist extrem technisch und es müssen sehr, sehr viele Dinge bedacht werden, die man nach meiner Einschätzung durch Gruppenanträge im Bundestag nur sehr unzureichend bearbeiten kann. In den europäischen Staaten, in denen eine Impfpflicht eingeführt wurde, ist das immer auf einen Vorschlag der Regierung zurückgegangen, der mit Hilfe der technischen Expertise aus den Ministerien erarbeitet wurde. Dass sich die Bundesregierung mit Rücksicht auf Herrn Kubicki hier aus der Verantwortung stiehlt, finde ich unerträglich und es ist eine faule Ausrede, hier von einer Gewissensentscheidung zu sprechen. Wie kann man bei einem echten Gewissensthema wie Abtreibung eine Koalitionsmeinung und einen Regierungsvorschlag haben, Stichwort §218a, und bei einem so technischen und dringenden Thema wie der Impfung keine offizielle Regierungsmeinung“, ärgert sich Liese.  Er legte großen Wert darauf, dass Deutschland im nächsten Herbst, egal welche Mutation kommt, besser vorbereitet sein muss, als in diesem Herbst. „Wir können leider nicht darauf vertrauen, dass sich ausreichend Menschen freiwillig impfen lassen und wenn ein mutiertes Virus kommt und ein angepasster Impfstoff vorliegt, müssen wir eine so hohe Durchimpfungsrate haben, dass Einschränkungen, wie wir sie im Moment erleben, nie wieder nötig sind“, erklärt Peter Liese.