Erfahrungen in der EU zeigen, dass nur rechtzeitige und gezielte Maßnahmen für Ungeimpfte totalen Lockdown verhindern können
Einschränkungen für Ungeimpfte medizinisch gerechtfertigt - schnell boostern / Entscheidung von Parlamentspräsident Sassoli zu Präsenzpflicht kann Menschenleben gefährden
„In vielen Teilen der Europäischen Union ist die Corona-Lage leider wieder sehr besorgniserregend. Nicht nur in Teilen Deutschlands, sondern auch in Österreich, Belgien und den Niederlanden steigen die Zahlen und Krankenhausaufnahmen dramatisch. Besonders schwierig ist die Situation in Rumänien, Bulgarien und Lettland: diese drei Länder haben bereits den Europäischen Katastrophenschutzmechanismus aktiviert und erhalten von der EU-Kommission koordinierte Hilfe aus dem Ausland. Die Situation ist überall in Europa dort besonders schlimm, wo die Impfquote besonders niedrig ist.“ Dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten) Dr. med. Peter Liese.
Um dort wo die Situation noch nicht eskaliert ist, die Lage in den Griff zu bekommen, empfiehlt der CDU-Europaabgeordnete dringend, rechtzeitig Regelungen nach dem österreichischen Vorbild. „Auf den Intensivstationen liegen vor allem Ungeimpfte. Deswegen ist es medizinisch gerechtfertigt, die Maßnahmen zur Kontaktreduktion vor allem auf Ungeimpfte zu konzentrieren. Es ist richtig, insbesondere bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 2G zu setzen und dort wo die Menschen sehr eng zusammenkommen wie z. B. bei Feiern und in Clubs, auch 2G+ anzuwenden, das heißt auch Geimpfte und Genesen erhalten nur mit einem negativen Test Zutritt. Der Ministerpräsident von Lettland, Krišjānis Kariņš, hat sich am 21. Oktober, als er in Lettland einen totalen Lockdown verhängt hat, bei den Geimpften entschuldigt. Die Maßnahme war notwendig, weil die Lage komplett eskaliert war. Alle Verantwortlichen in Deutschland und darüber hinaus sollten versuchen, nicht in so eine solche Situation zu kommen. Mein Eindruck ist leider, dass sowohl in Sachsen als auch in Teilen Österreichs die Maßnahmen schon zu spät ergriffen wurden“, so der Arzt und Europaabgeordneter.
Liese wies aber energisch darauf hin, wie wichtig ein vollständiger Impfschutz durch eine dritte Impfung ist. „Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass die Immunisierung nicht abgeschlossen ist, wenn man die zweite Impfung oder bei Johnson&Johnson die Erstimpfung erhalten hat. Die Wirkung des Impfstoffes lässt deutlich nach und es ist sinnvoll nach sechs Monaten, wenn möglich sogar vorher, eine weitere Impfung zu verabreichen. Dies muss mittelfristig auch in das COVID-19 Zertifikat der Europäischen Union aufgenommen werden.“
Liese rechnet in Kürze mit der Zulassung eines Impfstoffes für 5 bis 11-Jährige Kinder in der EU. „Es ist richtig in diesem Fall ganz besonders sorgfältig zu prüfen aber die Europäische Arzneimittelagentur sollte das Verfahren zügig vorantreiben, denn insbesondere Kinder die an Vorerkrankungen wie Down-Syndrom, Lungen- oder Herzkrankheiten leiden, brauchen in der vierten Welle schnell den Impfschutz.“
Als „absolut unverantwortlich“ bezeichnete Liese die Entscheidung vom Parlamentspräsident Sassoli zu Präsenzsitzungen. Sassoli hatte am 28. Oktober verfügt, dass alle Sitzungen des Parlaments ab sofort in Präsenz stattfinden und es keine Möglichkeit gibt, sich von außerhalb zuzuschalten oder online abzustimmen. Diesen Modus hatte das Parlament seit Beginn der Pandemie genutzt um Infektionen zu vermeiden, auch in den Monaten mit sehr niedriger Inzidenz vergangenen Sommer. „Die Entscheidung von Sassoli war von Anfang an falsch, da wir bereits in einigen Ländern wie Lettland und Rumänien dramatische Entwicklungen hatten als er diese Entscheidung traf. Mit dem Wissen von heute ist sie komplett unverantwortlich, und jede Stunde die sie länger gilt, kann Menschenleben kosten. Ich habe daher eindringlich an Sassoli appelliert zum Krisenmodus zurückzukehren“, so der Arzt und Europaabgeordnete.