Trotz Lieferproblemen wird die Impfgeschwindigkeit im Februar und März deutlich zunehmen / AstraZeneca muss Pläne anpassen und Lieferverpflichtungen einhalten / Vierter Impfstoff (Johnson & Johnson) kurzfristig in Sicht

„So schwierig das ist, wir alle müssen jetzt noch einige Woche jetzt noch sehr diszipliniert sein, um die Verbreitung des mutierten Virus in der Europäischen Union aufzuhalten“, dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP, Christdemokraten) Dr. med. Peter Liese. Liese begrüßte die Entscheidung Belgiens, unnötige Reisen zu verbieten und die Entscheidung Frankreichs, die Einreise nur noch mit einem hochwertigen PCR-Test zu erlauben. „Reisen fördert leider die Verbreitung des Virus und deswegen sollte man unnötige Reisen jetzt unbedingt einstellen. Auch weitere Maßnahmen zur Verbreitung von Risikokontakten sind erforderlich. Die explosionsartige Entwicklung der Zahlen in Großbritannien, Irland und Portugal müssen uns allen eine Warnung sein“, so der Europaabgeordnete und Arzt.


Trotz der bekanntgewordenen Lieferschwierigkeiten beim Impfstoffhersteller AstraZeneca geht Liese davon aus, dass es im Februar und März zu einer deutlichen Steigerung der Zahl der Geimpften in der EU kommen wird. „Die Ankündigung der Firma AstraZeneca, die geplante Lieferung für die EU von 80 Millionen auf 31 Millionen Dosen im ersten Quartal zu reduzieren, darf und wird nicht das letzte Wort sein. AstraZeneca hat sich vertraglich verpflichtet, schon seit Oktober zu produzieren und sie liefern offensichtlich in andere Teile der Welt, auch nach Großbritannien ohne Verzögerung. Die fadenscheinige Begründung, dass es in der EU-Lieferkette Schwierigkeiten gibt, woanders dagegen nicht, trägt nicht, da es natürlich kein Problem ist, den Impfstoff von Großbritannien auf den Kontinent zu bringen. Dem Unternehmen kann nicht daran gelegen sein, auf Dauer seinen Ruf im größten Binnenmarkt der Welt zu beschädigen. Vielen im Unternehmen scheint die Sache peinlich zu sein. Deswegen rechne ich noch in den nächsten Stunden mit einer Änderung der Lieferpläne für die EU und zwar nach oben. Selbst die 31 Millionen Dosen wären aber eine deutliche Verbesserung der Situation in der EU.


AstraZeneca hat mittlerweile auch überzeugende Argumente vorgelegt, die die anfängliche Skepsis gegenüber diesem Impfstoff entkräften. Die Firma hatte bereits im November Daten über die klinische Prüfung vorgelegt, dabei jedoch nicht in allen Belangen transparent gehandelt. Die Wirksamkeit des Impfstoffs wurde auf 70 % taxiert. Bei einem bestimmten Dosierungsschema sollten es aber 90% sein. Problem war, dass dieses Dosierungsschema in einem Teil der klinischen Prüfung stattfand, bei dem man aus Versehen nur die Hälfte des Impfstoffs gegeben hat. Die klinischen Prüfungen sind aber mittlerweile weitergelaufen und die Daten wurden besser analysiert. Offensichtlich ist nicht die Gabe der halben Dosis entscheidend für eine bessere Wirkung, sondern der Zeitraum zwischen zwei Dosen. Optimal scheint ein Zeitraum von bis zu 12 Wochen zu sein. Dann wird die Wirksamkeit mit 82% angegeben.

Hätten wir im Oktober die Ankündigung erhalten, dass ein Impfstoff zu 82% wirkt, wäre dies eine Sensation gewesen. Viele Experten, darunter die WHO und die amerikanische FDA wären schon mit einer Wirksamkeit von 50% zufrieden gewesen. Wichtig ist, festzustellen, dass die Wirksamkeit immer auf die Zahl der Probanden bezieht, die überhaupt keine Infektionssymptome haben, also auch kein leichtes Fieber oder leichten Husten. In all den Versuchsreihen gab es bisher niemanden, der nach einer Impfung einen schweren Verlauf hatte, ins Krankenhaus musste oder gar gestorben ist. Der AstraZeneca Impfstoff ist ein guter Impfstoff. Nur dadurch, dass die beiden mRNA-Impfstoffe von Moderna und BioNTech/Pfizer noch eine höhere Wirksamkeit haben, erscheint er jetzt zweitklassig. Das ist er aber nicht. Anders ausgedrückt: BioNTech/Pfizer und Moderna sind in der Fußballsprache Champions-League Sieger und Finalteilnehmer, also z.B. Bayern München und Paris Saint Germain, der Impfstoff von AstraZeneca hat nur das Halb- oder Viertelfinale erreicht, man kann ihn also mit RB Leipzig und Olympique Lyon vergleichen, aber mit Kreisliga hat das ganze nichts zu tun“, so Liese.

„Sehr sorgfältig diskutiert werden muss allerdings die Frage, ob man den Impfstoff tatsächlich wie geplant an über 80-jährigen verimpft. Hier sind die Daten zwar vorhanden, aber nicht so gut wie bei jüngeren. Man muss von einem deutlichen Schutz ausgehen, aber die Experten, zum Beispiel in Deutschland die ständige Impfkommission, müssen sorgfältig prüfen, ob der Impfstoff wirklich an über 80-jährige für verimpft werden soll, oder ob man sich zunächst auf jüngere, wie zum Beispiel medizinisches Personal konzentriert. Persönlich würde ich mir den Impfstoff sofort verabreichen lassen, wenn ich, nach den objektiven Kriterien, an der Reihe bin“, so Peter Liese.

„Das Ziel der Europäischen Union bis Ende März 80 % der über 80-jährigen und 80 % des medizinischen Personals zu impfen, ist trotz der Lieferverzögerung noch erreichbar, zumal in dieser Woche die vierte Impfstofffirma, nämlich die amerikanische Firma Johnson&Johnson, die aber einen großen Teil ihrer Produktion im niederländischen Leiden hat, Informationen über ihren Impfstoff veröffentlichen wird. Wenn die Daten gut sind, und davon darf man ausgehen, weil Johnson&Johnson nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet wie AstraZeneca, kann es schon zu Beginn des Frühjahrs eine deutliche Entlastung dadurch geben, dass auch Johnson&Johnson in der EU auf den Markt kommt. Der Vorteil dieses Impfstoffs ist, dass voraussichtlich eine Impfdosis ausreicht, um einen guten Impfschutz zu erreichen. Im späteren Frühjahr erwarte ich dann die Zulassung und Lieferung des deutschen Impfstoffherstellers CureVac.
Wir brauchen also leider alle gemeinsam Geduld und bei all den negativen Nachrichten, sollte man nicht vergessen, dass bis in den Herbst hinein viele behauptet haben, es sei überhaupt nicht sicher, ob irgendein Impfstoff funktionieren wird“, so Liese.