Jetzt Chaos-Brexit unter allen Umständen vermeiden / Einstellung der Flüge richtig, aber auch konsequenterer Schutz in Deutschland und der EU notwendig / Irland trotz steigender Infektionszahlen deutlich unter EU-Schnitt und deshalb weiter Vorbild / Europäische Union bekommt bei Impfstoffen mehr Sicherheit und bis zum Frühjahr auch mehr Impfstoff pro Kopf als Großbritannien / Impfstoff wird ganz in der Nähe bei uns, nämlich in Marburg, produziert


Angesichts der dramatischen Entwicklung, die durch das mutierte Corona-Virus in Großbritannien hervorgerufen wurde, fordert der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten) Dr. med. Peter Liese, einen Chaos-Brexit unter allen Umständen zu vermeiden. „Wir müssen uns jetzt auf die Bekämpfung des Virus, insbesondere des mutierten Virus, und auf die Vermeidung eines Chaos durch Grenzschließungen konzentrieren. Ein chaotischer Brexit auf diese schwierige Situation noch zusätzlich drauf wäre unverantwortlich. Deswegen muss entweder in den nächsten Stunden eine Einigung gefunden werden, oder die Übergangsfrist zum Brexit muss verlängert werden. Dies hat die Europäische Union schon seit vielen Monaten angeboten, leider hat Großbritannien sich darauf bisher nicht eingelassen, das muss sich jetzt unbedingt ändern.“

Liese begrüßte die Maßnahmen zum Schutz gegen das mutierte Virus: „Sowohl das, was Großbritannien macht, als auch das, was die Nachbarländer machen, ist notwendig. Wir müssen handeln, um eine Katastrophe im Gesundheitswesen zu vermeiden. Deswegen ist es auch wichtig, Flugverbindungen und andere Transporte einzustellen. Wir sollten aber auch alles dafür tun, dass lebensnotwendige Güter wie z.B. Impfstoffe über die Grenzen kommen, und auch Ärzte und Pflegekräfte müssen an ihren Einsatzort reisen können.“

Liese warnte davor, dass mutierte Virus allein als britisches Problem wahrzunehmen. „An vielen Stellen in der Welt und auch in der EU ist diese Mutation bereits aufgetaucht, deswegen sollte man sich nicht in Sicherheit wähnen, wenn man keinen Kontakt zu Großbritannien hat. Corona ist unabhängig davon sehr gefährlich, und die neue Virus-Variante scheint noch leichter übertragbar zu sein, sie ist auch schon lange auf dem Kontinent angekommen. Deswegen müssen wir uns jetzt noch konsequenter an die vorgeschriebenen Maßnahmen halten und jeder sollte überlegen, wie er darüber hinaus noch Risikokontakte einschränken kann.“ Gerade in Bezug auf die Weihnachtstage appellierte Liese an alle Bürgerinnen und Bürger, nicht den gesetzlichen Rahmen auszunutzen, sondern möglichst unter der erlaubten Größenordnung zu bleiben und auch bei Weihnachtsbesuchen wann immer möglich Abstand zu halten oder Maske zu tragen.

„Außerdem ist ein Kaffee, Tee oder Glühwein im Garten oder ein Spaziergang immer weniger gefährlich als ein Treffen in der Wohnung“, so Liese. An die Arbeitgeber appellierte Liese, wann immer es möglich ist, Arbeitnehmer aus dem Home-Office arbeiten zu lassen. „Diese beiden Maßnahmen (wenig Treffen in den eigenen vier Wänden, dafür mehr Treffen draußen und ein strenges Gebot zum Home-Office, wann immer das möglich ist) haben in Irland dazu geführt, dass die Inzidenz viele Wochen unter 50 war. Deswegen sollten wir uns an diesen Maßnahmen orientieren. Leider steigt die Zahl der Infizierten in Irland jetzt auch wieder an. Das liegt sicher an den Öffnungen, die dort vor einigen Wochen beschlossen wurden (z.B. sind Fitnessstudios und Restaurants dort wieder geöffnet), möglicherweise aber auch an einer Betroffenheit Irlands durch die neuartige Mutation des Virus. Das Beispiel hat trotzdem gezeigt, dass es möglich ist, den Wert unter 50 zu bringen“, so Liese.

Liese begrüßte die Zulassungsempfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur, die am Montagnachmittag ausgesprochen wurde. „Die EMA hat zügiger als jemals zu vor gehandelt und trotzdem alle notwendigen Schritte durchgeführt. Die Europäische Kommission hat jetzt formal 67 Tage Zeit, die offizielle Zulassung zu erteilen. Ich rechne aber damit, dass es in deutlich weniger als 6, 7 Stunden passiert. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass die EU durch ihre Impfstoffpolitik mehr Sicherheit und jedenfalls bis zum Frühjahr auch mehr Impfstoffe pro Kopf bekommt als Großbritannien. Der Vorsprung, den Großbritannien durch wenige Wochen früheren Impfbeginn hat, wird schnell aufgebraucht sein“, so Liese.

„Der Zulassungsprozess ist aus drei Gründen sicherer:

Erstens: BioNTech hat an die Europäische Arzneimittelagentur mehr Informationen über Wirksamkeit und Nebenwirkungen gesendet als an die britischen Behörden (in der Nacht von Montag auf Dienstag in der vergangenen Woche wurden noch zusätzliche Informationen von der EMA in Empfang genommen und an die Zulassungsbehörden in den Mitgliedstaaten weitergeleitet.)
Zweitens: Die Haftung geht nach EU-Recht, an das Großbritannien ebenfalls noch gebunden ist, bei der bedingten Zulassung durch die EMA auf den Hersteller über und nicht, wie bei einer Notfallzulassung, auf den Staat.
Drittens: Mehr Experten aus verschiedenen nationalen Behörden mit verschiedenen Hintergründen haben die Daten analysiert und zu der Stellungnahme der EMA beigetragen“, so der Arzt und Europaabgeordnete.

Liese betonte, dass der Impfstoff in den nächsten Monaten auf der ganzen Welt knapp sein werde. „Niemand hat genügend Impfstoff, um in den nächsten Wochen auch nur die Risikogruppen zu impfen. Das wird sich aber im Frühjahr bessern und, je nachdem wie der weitere Ausbau des Produktionsprozesses gelingt, im Sommer oder im Herbst nochmal deutlich besseren“, so Liese.

Liese teilte mit, dass nach seinen Informationen ein neues Werk in Marburg, in dem die Firma BioNTech große Mengen an Impfstoffen herstellen will, kurz vor der Eröffnung steht. „Nach meinen Informationen liegen alle notwendigen Genehmigungen vor. BioNTech hat mir versichert, dass falls dieses Werk im Februar seinen Betrieb aufnimmt, 50 Millionen Dosen, die wir eigentlich erst nach dem Sommer bekommen sollten, vor dem Sommer zur Verfügung stehen“, so Liese.  
Die EU stehe aus mehreren Gründen nicht schlechter da als Großbritannien, die früher mit dem Impfen begonnen haben:

„Erstens: Großbritannien hat keine Impfstoffdosen bekommen, die eigentlich für die EU vorgesehen waren.
Zweitens: Wir haben ähnlich viel Impfstoff bei BioNTech bestellt wie die Briten.
Drittens: Von dem Impfstoff von Moderna, der wahrscheinlich am 6. Januar zur Zulassung empfohlen wird, hat die EU dreimal so viel Impfstoff bestellt wie Großbritannien.
Viertens: Bei der Firma Curevac, die auch den mRNA Impfstoff entwickelt, hat Großbritannien gar keinen Impfstoff bestellt.
Natürlich kann man im Nachhinein immer behaupten, dass alles noch besser hätte laufen können, aber ich finde es wohlfeil. Wer im August schon wusste, dass der Impfstoff von BioNTech nebenwirkungsarm und wirksam ist und als erstes eine Zulassung bekommt, der hätte ja damals diese Einschätzung mit allen Betroffenen und auch der Öffentlichkeit teilen können. Mir ist niemand bekannt, der das in dieser Form voraussagen konnte“, so Liese.

Vergleich EU/UK Impfstoff pro Kopf
BioNTech/Pfizer (0,67 zu 0,61 / 300 Mio. Dosen für EU - 40 Mio. Dosen für UK)
Moderna (0,36 zu 0,11 - 160 Mio. für EU - 7 Mio. Dosen für UK).
CureVac (0,90 u 0,0 – 404 Mio. für EU -0 für UK)