Früherer Impfbeginn für 400.000 Menschen heißt nicht, dass man die Pandemie im Griff hat / EMA Verfahren hat höhere Standards als britisches Verfahren / Irland im Pandemie-Management vorbildlich

„Wir sollten, bei der Frage, wie man am besten mit der Pandemie umgeht, nicht nach Großbritannien, sondern nach Irland schauen“, dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament Dr. med. Peter Liese (EVP, Christdemokraten) angesicht des Beginns der Corona-Impfungen in Großbritannien und der Diskussion um weitere Maßnahmen in Deutschland.

„In Großbritannien beginnen heute die Impfungen, das heißt aber noch lange nicht, dass das Land am Ende auch besser durch die Pandemie kommt als die EU-Länder. Bisher ist das Pandemie-Management in Großbritannien sehr schlecht gewesen und bei der sehr schnellen Notfallzulassung des Impfstoffs habe ich Zweifel. Zwar hat Großbritannien eine sehr gute nationale Behörde, aber die Anforderungen an eine Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelagentur sind höher als an die Notfallzulassung in Großbritannien. Deswegen ist es gut, dass die EU-Länder, auch wenn sie es grundsätzlich könnten, den Notfallweg nicht gehen, sondern den eines geordneten Verfahrens. Ich rechne zwar nicht mit dramatischen Nebenwirkungen, aber ich glaube trotzdem, dass wir einen höheren Standard haben und sich dafür drei Wochen warten lohnen. Zumal mit die Firma BioNTech schriftlich zugesichert hat, dass der frühere Beginn der Impfung in Großbritannien nicht bedeutet, dass das Land am Ende mehr Impfstoff bekommt als Deutschland. Der für Deutschland vorgesehene Impfstoff ist teilweise schon produziert und eingelagert und geht nicht nach Großbritannien“, so der CDU-Europaabgeordnete und Arzt (s. am Ende das Statement von Sean Marett).

„Unabhängig von dem Beginn der Impfung für einen kleinen Teil der Bevölkerung, werden wir uns in den nächsten Monaten noch gezielte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in ganz Europa durchführen müssen. Hier lohnt sich ein Blick in das Land, dass in der EU zurzeit die niedrigsten Infektionszahlen hat. Irland hatte im Oktober deutlich höhere Zahlen pro Kopf der Bevölkerung als Deutschland (7-Tage-Inzidenz für Irland am 22. Oktober: 165). In den letzten 10 Tagen war Irland konstant unter 50 pro 100.000 Einwohner und das ohne, dass die Schulen geschlossen waren oder eine komplette Ausgangssperre verhängt wurde. Aus meiner Sicht waren 4 Maßnahmen zielführend:

  1. Es gab ein grundsätzliches Verbot von privaten Besuchen. Man durfte auch in der eigenen Wohnung keine Menschen empfangen, die nicht in dem eigenen Haushalt leben. Ausnahmen gab es aber z.B.  für ältere Menschen, denen sonst Isolierung drohte und man darf sich mit einer anderen Familie im Freien treffen. Diese letztere Maßnahme ist extrem sinnvoll, da sich das Virus im Freien wesentlich weniger verbreitet als drinnen.
  2. Im ÖPNV gab es eine Beschränkung der Belegung auf 25%.
  3. Es gibt eine grundsätzliche Verpflichtung zum Home-Office für alle, die das in irgendeiner Weise realisieren können.
  4. In den Schulen gab es eine Maskenpflicht ab 13 Jahren und eine absolute Vorschrift, mindestens einen Meter, in weiterführenden Schulen sogar zwei Meter Abstand zu halten. Eine solche Regelung ist natürlich eine Herausforderung, aber sie lässt sich z.B. durch Anmietung zusätzlicher Gebäude oder durch Wechselunterricht gewährleisten.

Mit diesen Maßnahmen hat es Irland innerhalb von wenigen Wochen geschafft, die Infektionszahlen auf ein Viertel der Zahlen herunter zu bringen und deswegen ist man jetzt von dem strengen Level 5 auf das sehr viel weniger einschränkende Level 3 zurückgegangen. Sowohl Restaurants als auch Fitnessstudios haben wieder geöffnet.

Viele Menschen in Deutschland sehnen sich nach etwas mehr Normalität. Die Wahrheit ist, dass wir dorthin kommen können, wenn wir gezielter als bisher gegen das Virus vorgehen. In Deutschland sollten wir meiner festen Überzeugung nach, nach Bayern schauen, und auch wenn die Zahlen in anderen Teilen nicht ganz so hoch sind, wesentliche Element des bayerischen Weges übernehmen. Distanzunterricht an Berufsschulen und Wechselunterricht für ältere Schüler sind zwar mit Herausforderungen verbunden, sind aber ein wesentlicher Schritt um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Wir dürfen uns mit den sehr hohen Todeszahlen und der Tatsache, dass Intensivpflegekräfte schon jetzt übermäßig belastet sind nicht abfinden“, so Liese.


Sean Marett, der CCO und CBO von BioNTech, hatte Liese versichert, dass der für die Länder der Europäischen Union vorgesehene Impfstoff bereits zum Teil produziert und eingelagert ist. „Wenn die EMA die Zulassung erteilt, kann die Impfung sofort beginnen. Die Notfallzulassung in Großbritannien hat keinen Einfluss auf die Anzahl der Dosen, die in den nächsten Monaten für andere Regionen wie z.B. die Europäische Union geliefert werden. Wir gehen davon aus, dass Millionen von Bürgern in der EU im ersten Quartal 2021 geimpft werden, wenn wir dieses Jahr die behördliche Zulassung erhalten“, so Marett in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Peter Liese.