Endlich Lösung in Sicht / Hartnäckiges drängen von Unternehmen in der Region und Dr. Peter Liese wirkt / Leben der kleinsten Patienten schützen

Das Leben vieler Patienten, insbesondere von Kindern, ist in Gefahr. Deswegen muss die Europäische Kommission jetzt sehr zügig handeln“, dies hat Dr. med. Peter Liese anlässlich der zunehmenden Versorgungsengpässe bei Medizinprodukten wie zum Beispiel Herzkathetern für Kinder in den letzten Wochen in Brüssel und Straßburg immer wieder gesagt. Sein Drängen scheint jetzt Wirkung zu haben. Die Europäische Kommission hat kurzfristig einen Vorschlag für eine Änderung der Verordnung auf dem Weg gebracht. Das ist wichtig für die Krankenhäuser und damit für die Patienten, aber auch für die Medizinprodukte-Unternehmen in unserer Region.

Betroffen sind beispielsweise im Märkischen Kreis u.a. die Firmen Gustav Selter GmbH & Co. KG in Altena, die Meding GmbH und die WACA-Kunststoffwarenfabrik in Halver, die Sioux High Tech Systems GmbH in Iserlohn, die Goletz Medical GmbH und die Walter Goletz GmbH in Kierspe, die Impromediform GmbH in Lüdenscheid, die UTK Solution GmbH und die Winkel GmbH in Lüdenscheid, die ASBANDUS GmbH in Meinerzhagen, die VTI Ventil Technik GmbH Menden sowie die Heinz Meise GmbH in Schalksmühle. Im Kreis Soest u.a. die Firmen COMED Computerorganisation in der Medizin GmbH in Soest, ProGenom GmbH in Geseke, Planilux in Warstein sowie die wissner-bosserhoff GmbH und die Schmitz u. Söhne GmbH & Co. KG in Wickede. Im Kreis Olpe u.a. die Firmen CONZE Informatik GmbH in Lennestadt und medifa-hesse GmbH & Co. KG in Finnentrop. Im Hochsauerlandkreis u.a. die Firmen SCHULTE-ELEKTRONIK GmbH in Olsberg und die TITAL GmbH in Bestwig. Im Kreis Paderborn die Condor® MedTec GmbH in Salzkotten.


Die Problematik entsteht durch die Medizinprodukteverordnung (MDR). Nach der neuen Verordnung müssen alle Medizinprodukte, also zum Beispiel Herzkatheter, EKG-Geräte oder Stethoskope neu zertifiziert werden. Dies gilt auch für Produkte, die bisher schon auf dem Markt waren. Das wichtige Anliegen hinter der MDR ist es, Skandale wie bei defekten Brustimplantaten zu verhindern. „Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass die Produkte, die in der EU zugelassen werden, sicher sind. Die wichtigste Errungenschaft ist aus meiner Sicht, dass nun unangekündigte Kontrollen beim Hersteller durchgeführt und damit Betrügereien verhindert werden können. Dies schützt auch die seriösen Hersteller, von denen wir in unserer Region sehr viele haben“, so Peter Liese.

Allerdings: Die Neuzertifizierung bedeutet für die Hersteller einen enormen bürokratischen Aufwand und ist gerade bei Nischenprodukten nicht rentabel. Noch dazu sind durch den Brexit und Corona die mit der Prüfung beauftragten Benannten Stellen sehr weit hinter dem notwendigen Tempo zurück. Von 22.800 Zertifikaten sind bisher erst 1.990 abschließend zertifiziert (Stand 24.10.2022). Dies führt dazu, dass zahlreiche, teils lebenswichtige Medizinprodukte in absehbarer Zeit vom Markt genommen werden.

Liese, der früher selbst in einer Kinderklinik gearbeitet hat, berichtet: „Meine Kollegen, insbesondere aus der Kinderkardiologie und der Kinderchirurgie beklagen, dass viele Produkte jetzt schon knapp sind und sie die Kinder nicht mehr nach dem neuesten Stand der Medizin behandeln können. Deswegen zählt jetzt jeder Tag. Nachdem ich mich bereits vor vielen Monaten an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und an Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides gewandt habe, hat sich jetzt der Ausschuss für Umwelt und Gesundheit als Ganzes an die Kommission gerichtet. Nach monatelangem Drängen hat die Europäische Kommission nun endlich gehandelt. Ein formeller Vorschlag zur Änderung der MDR wird laut Kommission im Januar 2023 zur Entscheidung vorgelegt.

„Wir brauchen eine kurzfristige Lösung. Ich werde mich weiterhin mit den Unternehmen, den Krankenhäusern, den Medizinern und den Patienten aus meiner Region zu diesem Thema austauschen und mich dann nach allen Kräften dafür einsetzen, dass ein Vorschlag, der wirklich Abhilfe schafft, so schnell wie möglich im Europäischen Parlament angenommen wird“, betont Peter Liese. Die Fristen in der Medizinproduktverordnung müssten so geändert werden, dass lebenswichtige Produkte nicht vom Markt verschwinden. „Wir brauchen aber auch eine langfristige Lösung. Für bestimmte Produkte, die nur in kleiner Stückzahl hergestellt werden, lohnt sich der Aufwand zur Rezertifizierung nicht. Sie müssen aber trotzdem sicher sein. In den USA gibt es dafür eine sogenannte Orphan Device Regulation, das heißt, Hersteller erhalten zusätzliche Anreize, wenn sie den Aufwand auch für kleine Stückzahlen betreiben.“  

Mai 2017 - Die Medizinprodukteverordnung (MDR) tritt in Kraft
Über vier Jahre zog sich der schwierige und langwierige Verhandlungsprozess zur Medizinprodukte-Verordnung, bis es im Mai 2017 eine Einigung gab. Unter ihr sollen alle Medizinprodukte, wie zum Beispiel Herzkatheter, EKG-Geräte oder Stethoskope neu zertifiziert werden.

Nach dem Skandal um gefälschte Brustimplantate bestand hier dringender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Ein französischer Hersteller hatte nach der Genehmigung eines Produktes durch den deutschen TÜV die Rezeptur geändert und hochwertiges medizinisches Silikon durch billiges Industriesilikon ersetzt. Dadurch sind Tausende Frauen, auch zahlreiche in Westfalen, zu Schaden gekommen. Probleme gab es auch bei Hüftimplantaten und Stents, die ins Gehirn eingepflanzt werden. „Es war unumgänglich, das bestehende Recht zu verschärfen. Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass die Produkte, die in der EU zugelassen werden, sicher sind. Die wichtigste Errungenschaft ist aus meiner Sicht, dass nun unangekündigte Kontrollen beim Hersteller durchgeführt und damit Betrügereien verhindert werden können. Dies schützt auch die seriösen Hersteller, von denen wir in unserer Region sehr viele haben“, beschrieb Peter Liese, Europaabgeordneter für Südwestfalen und das Hochstift, schon damals eine der wichtigsten Neuerungen der Verordnung Gleichzeitig hatte der Arzt und gesundheitliche Sprecher der größten Fraktion im Parlament (EVP-Christdemokraten) bereits bei der Verabschiedung Probleme erkannt, konnte sich aber politisch ebenso wie die deutsche Regierung damals nicht durchsetzen.

April 2020 - EU beschließt ein einjähriges Moratorium
Diese Einschätzung verwirklichte und verschärfte sich in den kommenden Jahren durch den Brexit und insbesondere aufgrund der COVID-19-Pandemie rasant. Liese hat sich deshalb für eine flexible Verlängerung des Inkrafttretens der MDR eingesetzt und fand bei seinen Kollegen und der Europäischen Kommission Gehör: „In der Corona-Krise war es notwendig, dass man improvisiert. Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung mussten sofort und nicht erst nach monatelangen Prüfverfahren verfügbar sein. Außerdem mussten auch neue Firmen befähigt werden, schnellstmöglich in die Produktion einzusteigen - man brauchte jede helfende Hand“, so Liese.

Sommer 2022 - Lebenswichtige Medizinprodukte drohen vom Markt zu verschwinden
Auch nach diesem Moratorium bestanden und bestehen weiterhin massive, vor allem bürokratische Probleme bei der Umsetzung der Verordnung. Viele Firmen beklagen, dass der Mehraufwand insbesondere aufgrund der fehlenden Kapazitäten der Zertifizierungsstellen - der sogenannten Benannten Stellen - dramatische Auswirkungen auf die Produktion und damit auf die Patientensicherheit habe. Bis Oktober 2022 konnten von 22.800 Zertifikaten erst 1.990 abschließend ausgestellt werden. Das führt dazu, dass zahlreiche, teils lebenswichtige Medizinprodukte vom Markt genommen werden.

„Für uns als Hersteller von Medizinprodukten ist die Implementierung der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) ein Großprojekt, welches sehr zeit-, personal- und kostenintensiv ist. Sämtliche Prozesse und Dokumentationen müssen wir anpassen, ohne, dass sich am eigentlichen Produkt etwas ändert. Derzeit müssen wir leider die Ressourcen für die Neuentwicklung von Produkten stark einschränken. Das hat zur Folge, dass unser Innovationsprozess deutlich verlangsamt wird.“ (Friedrich Schmitz - Firma SCHMITZ u. Söhne GmbH & Co. KG, Wickede)

„Insgesamt hat sich unser Qualitätsmanagement-Team fast verdoppelt und die Entwicklungsabteilung wurde komplett mit einbezogen. Da wir die Kapazitäten dauerhaft benötigen werden, sprechen wir von zusätzlichen Ausgaben in Höhe von etwa 150.000 Euro pro Jahr. Mit diesen zusätzlichen Stellen allein können wir aber den Berg an Arbeit, den die MDR mit sich bringt, nicht bewältigen. Deshalb greifen wir auch auf externe Experten zurück. Mit der Erfahrung, dass auch deren Wissen und Kompetenz im Dschungel der Vorschriften und Normen mit weiteren hohen Kosten verbunden sind.“ (Marc Holthaus - Impromediform GmbH, Lüdenscheid)

„Ich habe die Anliegen sehr ernst genommen und die Situation genau beobachtet“, sagt Peter Liese. Er tauschte sich permanent mit der Industrie, wichtigen Fachverbänden wie der Bundesärztekammer (Mai), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (Juni) und insbesondere der Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (August) aus. „Da ich selbst als Arzt in einer Kinderklinik gearbeitet habe, wurde mir von vielen Kollegen sehr genau illustriert, dass bereits jetzt konkrete Instrumente, beispielsweise für herzkranke Kinder vom Markt genommen wurden. Für mich war klar, dass wir für diese Produkte eine schnelle und zusätzlich aber auch eine langfristige Lösung finden müssen, um Menschenleben zu retten“.

Liese platzierte die Thematik mit konkreten Lösungsvorschlägen an die oberste Stelle der Kommission bei Gesundheitskommissarin Stella Kyrikakides und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (September), er skizzierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Möglichkeit zur Abhilfe durch nationale Sonderzulassungen von wichtigen Produkten (Oktober) und ging nicht zuletzt, mit einer Anfrage zur mündlichen Beantwortung ins Plenum des EU-Parlaments (November).

09. Dezember 2022 - Medizinprodukteverordnung wird geändert
Bei der Tagung des Rats Gesundheitsminister stellte Gesundheitskommissarin Kyriakides die geplante Änderung der MDR vor. Das Auslaufen der Zertifikate wird bis 2027 (Hochrisikoprodukte) und 2028 (Niedrig- und Mittelrisikoprodukte) verlängert. Darüber hinaus stellte die Europäische Kommission in Aussicht, unabhängig von diesem Legislativvorschlag schrittweise auch die strukturellen Probleme für Nischenprodukte und Produkte für seltene Erkrankungen zu adressieren.

Diesen Punkt hält Liese für besonders wichtig: „Die Verlängerung der Fristen ist ein Erfolg und ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch keinen Abschluss der Arbeiten. Es ist gut, dass wir kurzfristig eine Lösung im Eilverfahren bekommen, damit lebenswichtige Produkte nicht vom Markt verschwinden. Wir brauchen aber auch langfristige Lösungen. Gerade für die Produkte, die nur in kleiner Stückzahl hergestellt werden, zum Beispiel Herzkatheter für Kinder, lohnt sich der Aufwand zur Rezertifizierung nicht - trotzdem müssen die Produkte sicher sein. Hersteller von solchen wichtigen Nischenprodukten müssen also zusätzliche Anreize erhalten. Außerdem dürfen wir die mittelständischen Unternehmen, von denen wir auch viele in Westfalen haben, nicht mit Überbürokratie belasten. Am Ende schützt sinnloser Papierkram die Patienten nicht, sondern schadet der Innovation“.

„Die Gefahr der nicht rechtzeitigen Auditierung kann selbst bei den einfachen Produkten dazu führen, dass diese nicht mehr am Markt verfügbar sind bzw. sein werden. Von daher ist die Verschiebung der MDR konsequent und zu begrüßen.“ (Stefan Pietzner - Meding GmbH, Halver)

Der formelle Vorschlag zur Änderung der MDR wird laut Kommission im Januar 2023 zur Entscheidung vorgelegt.