Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

der Zustrom von tausenden von Flüchtlingen jeden Tag stellt die Verantwortlichen vor Ort, vor allem in den Kommunen, vor fast unmenschliche Herausforderungen. Deswegen kann ich jeden verstehen, der sagt: "So geht es nicht weiter!" Wenn die Verantwortlichen vor Ort sagen, so geht es nicht weiter, dann müssen wir auf allen anderen Ebenen der Politik überlegen, was wir konkret ändern können.

Ich war Anfang der neunziger Jahre Mitglied im Gemeinderat meiner Heimatgemeinde Bestwig und wir haben dort in jeder Ratssitzung neu überlegen müssen, welche Turnhalle und welche Schule wir schließen, um Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufzunehmen. Ich weiß, wie schwierig das damals war. Heute reden wir von drei bis viermal so vielen Flüchtlingen im Jahr 2015 und die Verantwortlichen haben noch nicht einmal Zeit, im Rat über die Frage zu diskutieren, weil die Flüchtlinge oft wenige Stunden nach der Ankündigung untergebracht werden müssen. Angesicht dieser großen Herausforderung finde ich es unangemessen, wenn einige Führer der deutschen Wirtschaft das ganze immer noch nur rosig und positiv sehen. Dieter Zetsche von Daimler zum Beispiel sagt, die Flüchtlinge könnten ein neues Wirtschaftswunder auslösen. Dann hat er, glaube ich, die Probleme vor Ort nicht wirklich erkannt. Natürlich brauchen wir Zuwanderung, aber nicht so!

 

Und wir sollten nie vergessen, dass diejenigen, die zu uns kommen, Menschen sind. Deswegen müssen wir ihnen helfen, aus moralischen und rechtlichen Gründen, aber wir dürfen nicht blauäugig sein. Es kommen nicht nur gutausgebildete Ingenieure, Ärzte und Anwälte, es kommen auch ungelernte, es kommen auch Analphabeten und leider kommen auch Kriminelle. Man darf keine Pauschalurteile treffen, man darf aber die Augen vor der Wirklichkeit auch nicht verschließen. Was uns insgesamt am wenigsten hilft, ist ein offener Streit innerhalb unserer Partei und ein zugespitzter Streit zwischen CDU und CSU. Horst Seehofer sollte nicht so viel über Angela Merkel reden, sondern mehr mit ihr. Ich glaube, auch Angela Merkel hat einige Dinge falsch eingeschätzt und wir müssen jetzt dringend handeln, aber ich kann sie verstehen wenn sie sagt, dass sie als "Mädchen aus der DDR" Probleme hat, neue Zäune zu errichten und wir können auch nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken oder wenn sie in dem kommenden Winter an den europäischen Grenzen erfrieren. Was wir brauchen, ist kein Streit zwischen Seehofer und Merkel, sondern ein gemeinsamer Plan, der uns wirklich hilft!

Dazu gehört natürlich auch gemeinsames Handeln in der Europäischen Union. Es ist eine berechtigte Forderung, dass nicht nur Deutschland, Österreich und Schweden, sondern alle europäischen Länder Flüchtlinge aufnehmen müssen. Diese Forderung hat unsere Fraktion nicht erst in den letzten Wochen erhoben, als sich in Deutschland das Problem zugespitzt hat, sondern schon vor vielen Monaten und wir haben erste konkrete Beschlüsse zur Umverteilung von Flüchtlingen gefasst, die jetzt Schritt für Schritt umgesetzt werden. Wir müssen weitergehen und generell zu einer gerechteren Verteilung in der Europäischen Union kommen. Dazu haben wir die Kollegen aus den osteuropäischen Ländern und die Anti-Europäer aus allen Fraktionen mit allen demokratisch legitimen Mitteln in die Enge getrieben und zum Schluss auch überstimmt. Dies war notwendig, aber ich möchte darauf hinweisen, dass nicht alle Bedenken gegen eine stärkere Verteilung in Europa ohne weiteres zerstreut werden können. Kollegen aus Polen, Tschechien und Ungarn weisen doch zu Recht darauf hin, dass in Deutschland auch deswegen so viele Flüchtlinge ankommen, weil wir besonders hohe Sozialleistungen haben. Hier muss sich etwas ändern und es ist gut, dass der Bundestag einen ersten Schritt beschlossen hat. Wer wirklich verfolgt ist, wird auch bei niedrigeren Sätzen und bei Sachleistungen kommen. Andere sollten in der Tat abgeschreckt werden.

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, ich möchte auch auf ein anderes Problem hinweisen, das uns in den Diskussionen begegnet. Über zwanzig Jahre hat Deutschland gegen ein stärkeres Engagement der Europäischen Union im Asylrecht ausgesprochen. In den Neunziger Jahren bei der Diskussion um den Amsterdamer Vertrag haben die Ministerpräsidenten Stoiber und Beck Helmut Kohl die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn Europa sich um Asyl kümmert, scheitert jede Vertragsänderung im Bundesrat, so hieß es. Noch vor etwas mehr als zwei Jahren hat der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gesagt, angesichts der dramatischen Zuspitzung der Krise auf der italienischen Insel Lampedusa: "Lampedusa liegt in Italien". Ein Kollege von mir hat zu Recht gesagt: "Geografie sehr gut, Politik ungenügend." Es war damals schon absehbar, dass das Problem nicht in Italien bleibt, wenn wir uns nicht gemeinsam darum kümmern. Diese Sprüche fallen uns jetzt aufs Butterbrot und Hans-Peter Friedrich sollte sich mit Kritik an der EU und auch an der Bundesregierung ein wenig zurückhalten.

Schon vor zehn Jahren hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, europaweit sichere Drittstaaten einheitlich festzulegen. Es kann doch nicht sein, dass wir mit Serbien über den Beitritt zur EU verhandeln und dass wir monatelang diskutieren müssen, ob man Asylbewerber in diese Länder zurückschicken kann. Natürlich muss man das tun, in Deutschland, auch Bayern sind wir hier europaweit nicht besonders vorbildlich. Auch in Bayern werden nur 15% der abgelehnten Asylbewerber zurückgeschickt. Es gibt sogar ein Verfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland, weil wir hier nicht konsequent genug sind.

Meine Damen und Herren,

abschließend möchte ich auf den für mich wichtigsten Punkt hinweisen. Wir müssen endlich konsequent die Fluchtursachen bekämpfen! Wie Sie wissen, engagiere ich mich seit vielen Jahren in der Entwicklungspolitik. Und so manch einer, auch in unserer Partei, hat die Nase darüber gerümpft und gesagt "ach, der Liese mit seinen weichen Themen". Aber wir sehen jetzt, dass diese angeblich weichen Themen zu einem ganz harten Problem führen. Wenn die Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive haben, bekommen wir hier ein Problem. Besonders dramatisch finde ich, dass auch aufgrund von Fehlentscheidungen deutscher und europäischer Beamter die Essensrationen in den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon auf 800 Kalorien pro Tag gekürzt wurden.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich vor einigen Wochen bei einer Sitzung, bei der wir ihm dies erklärt haben, erstaunt über die Ignoranz seiner Beamten. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie in einem Flüchtlingslager sitzen und es wird Ihnen mitgeteilt, dass Sie nur halb so viel Essen zugeteilt bekommen, wie sie zum Überleben brauchen? Wir müssen uns nicht wundern, wenn sich die Menschen dann auf den Weg machen. Deswegen wird es höchste Zeit, dass Fehlentscheidungen hier korrigiert werden!