Konsequenzen aus Skandal um Brustimplantate / Keine zentrale Zulassung / DNA-Test nur nach Beratung

Brüssel - Medizinprodukte sollen in der Europäischen Union in Zukunft stärker kontrolliert werden. Dies hat am Mittwoch der federführende Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments mit großer Mehrheit beschlossen. Die Abgeordneten ziehen damit die notwendigen Konsequenzen aus dem Skandal um schadhafte Brustimplantate der französischen Firma PiP und anderen ähnlichen Skandalen im Medizinproduktebereich.


PiP hatte nach der Zulassung der Implantate durch den deutschen TÜV die Zusammensetzung geändert und statt hochwertigem medizinischem Silikon minderwertiges Industrie-Silikon benutzt. Dadurch waren bei tausenden von Frauen in der ganzen EU und darüber hinaus gesundheitliche Probleme aufgetreten. Vorschläge nach einer Vorabzulassung durch staatliche Behörden und einer zentralen Zulassung durch die Europäische Arzneimittel Agentur wurden aber abgelehnt, da sie nach Ansicht einer Mehrheit des Ausschusses den Patienten nicht helfen und zu viele bürokratische Hindernisse gerade für den Mittelstand bedeutet hätten. "Der Beschluss des Ausschusses ist ein riesiger Schritt für mehr Patientensicherheit. Gleichzeitig wird übertriebene Bürokratie verhindert", so der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Parlament (EVP - Christdemokraten) Dr. Peter Liese.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Jens Spahn MdB, begrüßte ebenfalls den auf europäischer Ebene getroffenen Beschluss. Bereits im letzten Jahr hatten sich die Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag für bessere Kontrollen und eine effektivere Überwachung ausgesprochen (Bundestags-Drs. 17/11830). „Auch bei Medizinprodukten muss Patientensicherheit erste Priorität sein. Der Beschluss geht somit in die richtige Richtung ohne die Einführung neuer Produkte unnötig zu erschweren.“ so Jens Spahn.

Als Konsequenz aus dem PiP-Skandal wurde beschlossen, dass die Produkte auch nach der Markteinführung kontrolliert werden. So soll es zum Beispiel unangekündigte Kontrollen in den Betrieben geben. "Durch unangekündigte Kontrollen hätte der PiP-Skandal aufgedeckt werden können. Außerdem werden die Firmen automatisch vorsichtiger sein, wenn sie mit mehr Kontrolle rechnen müssen." Die neue Verordnung sieht außerdem vor, dass Medizinprodukte, die in den Körper implantiert werden, rückverfolgbar sein müssen und Patienten einen Implantatpass erhalten. Das heißt, das Fälle wie der einer dänischen Klinik, in der tausende Patienten mit Brustimplantaten versorgt wurde, bei der aber nach der Schließung der Klinik keine Angaben mehr darüber vorlagen, mit welchem Produkt, sich in Zukunft nicht wiederholen.

Nach Ansicht Lieses sind diese Maßnahmen entscheidend. Seine Fraktion lehnte hingegen die ursprünglichen Forderungen der sozialdemokratischen Berichterstatterin Dagmar Roth-Behrendt ab, ein System der staatlichen Vorabzulassung wie bei Medikamenten einzuführen.

"Wir müssen an die wirklichen Wurzeln des Problems gehen. Das wäre durch eine staatliche Vorabzulassung nicht geschehen.  Bei Medikamenten gibt es dieses System, und trotzdem gibt es immer wieder Skandale. Außerdem werden bei Medizinprodukten jedes Jahr viele tausend Produkte neue auf den Markt gebracht, während die europäische Arzneimittel-Agentur, der Frau Roth-Behrendt ursprünglich die Aufgabe übertragen wollte, nur weniger als 100 Medikamente pro Jahr prüft. Wir brauchen neue Medizinprodukte, um den Patienten besser helfen zu können. Deswegen darf das System nicht zu bürokratisch sein", so Liese.

Die Abgeordneten haben sich deshalb für Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems ausgesprochen. Benannte Stellen, die besonders riskante Produkte wie Herzschrittmacher prüfen wollen, müssen sich zukünftig einer verschärften Kontrolle und Zertifizierung durch die europäische Arzneimittel-Agentur stellen. Wenn bei Hochrisikoprodukten der Verdacht entsteht, dass nicht sorgfältig gearbeitet wurde, kann ein Expertenkomitee den Fall an sich ziehen und erneut beurteilen. "Wir führen damit ein Sicherheitsnetz ein - vergleichbar mit einem Sicherheitsgurt beim Autofahren.

Auch Autofahrer, die sich an alle Regeln halten und regelmäßig zum TÜV gehen, können in einen Unfall verwickelt werden. Niemand würde sagen, weil ich beim TÜV war, brauche ich keinen Sicherheitsgurt. Durch das System der Kontrolle bei Verdacht wollen wir schwarze Schafe besser identifizieren. Der Text, der jetzt angenommen wurde, muss im weiteren Verfahren noch sorgfältig geprüft werden. Einige Abschnitte werden von der Industrie zurecht als verbesserungswürdig bezeichnet, aber die Position der Industrie, das man kein europäisches Gremium braucht das bei konkreten Verdachtsfällen von Hochrisikoprodukten eingreift, ist meiner Ansicht nach nicht überzeugend", so Liese.

In einem zweiten Gesetzgebungsdokument haben die Abgeordneten heute zudem über die Zulassung von diagnostischen Tests wie Blutzuckerstreifen, HIV-Tests und DNA-Tests angestimmt. In diesem Bereich hat es die gleichen Probleme gegeben. So war nach Ansicht der zuständigen Institution in Deutschland (Paul-Ehrlich-Institut) über viele Jahre ein HIV-Test auf dem Markt, der häufiger als andere falsche negative Ergebnisse anzeigte. Das heißt der HI-Virus war vorhanden, aber es wurde angezeigt, dass kein Virus vorhanden ist. Deswegen sollen hier zukünftig die gleichen Regeln zur Bekämpfung des Missbrauchs wie bei den Medizinprodukten gelten.

Außerdem soll europaweit eine Beratungspflicht für Gentests eingeführt werden. In Deutschland gilt seit einigen Jahren wie in einigen anderen EU-Ländern, dass bei Tests, die Krankheiten im späteren Leben vorhersagen oder bei vorgeburtlichen Tests, eine fachkundige Beratung stattfinden muss.  "Leider gibt es nicht in allen europäischen Ländern Regeln zum Schutz der Patienten. Es ist aber sehr wichtig, dass DNA-Tests in einem geschützten Raum von fachkundigem Personal durchgeführt werden und eine entsprechende Beratung stattfindet. Diese Tests gehören nicht auf den Marktplatz", so Liese abschließend.

Die Plenarabstimmung ist für den 22. Oktober geplant. Anschließend starten die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten. Eine Einigung soll möglichst vor den Europawahlen  2014 erzielt werden.

Bereits am gestrigen Dienstag hat die Europäische Kommission eine Durchführungsverordnung zum Thema Sicherheit von Medizinprodukten angenommen. Diese Verordnung basiert auf der gegenwärtigen Richtlinie und bringt einige konkrete Verbesserungen. Auf der gegenwärtigen Rechtsbasis kann man allerdings nicht so weit gehen wie es nach Ansicht aller Akteure notwendig ist um die Sicherheit dauerhaft zu gewährleisten. Vieles läuft anhand von Pilotprojekten und freiwilligen Vereinbarungen. Auf Dauer brauchen wir aber Rechtssicherheit, deshalb ist die Verordnung, die heute im Ausschuss verabschiedet wurde, trotzdem notwendig.